Bücher für Jugendliche: Beziehungskisten

Es ist nicht nur leichte Kost, die wir hier zum Lesen vorstellen, aber in jedem Fall empfehlenswerte und unterhaltsame. Es geht um Beziehungen, vor allem zu und zwischen den Eltern, Samenspende, Homosexualität und Adoption. Auch ein Sachbuch für Kinder, die eine Scheidung erleben, ist dabei.

Und was wird jetzt mit mir? Scheidung

Jährlich werden etwa 130.000 Kinder zu Scheidungskindern. Hinzu kommen die Kinder, deren Eltern nicht verheiratet waren und sich trennen. Diese veränderte Situation bringt viele Fragen für Kinder mit sich und stellt für viele ein Problem dar, das sie oft nicht allein bewältigen können. Die Autoren sagen den betroffenen Kindern gleich zu Anfang ganz klar, dass die Trennung nicht ihre Schuld ist und dass sie auch nichts tun können, um das Problem der Erwachsenen zu lösen. Aber sie sollten auf jeden Fall über ihre Ängste zu sprechen und Antworten auf ihre Fragen suchen. 35 davon hat Arne Jørgen Kjosbakken aus seiner jahrelangen therapeutischen Praxis mit Kindern zusammengetragen, die Spiegel-Redakteurin Dialika Neufeld kindgerecht und behutsam beantwortet. Jan von Holleben hat die Themen fotografisch umgesetzt mit zwanzig Kindern, die die Scheidung ihrer Eltern selbst erlebt haben und genau wissen, wie sich das anfühlt.

Zu Beginn des Sachbuchs gibt es einen Überblick über alle Fragen. Auf diese Weise können die Kinder sich die herauspicken, die für sie am dringendsten sind und was sie am meisten interessiert. Die Fragen sind unterteilt in die Rubriken „Meine Eltern wollen sich trennen“, „Papa zieht aus“ (bzw. Mama zieht aus), „Wenn Scheidung Alltag wird“ und „Neue Familien und andere komplizierte Sachen“. Die Antworten umfassen in der Regel eine Buchseite und berühren pragmatische Aspekte („Wie lange dauert eine Scheidung?“, „Kann ich selbst entscheiden, wo ich wohnen möchte?“, „Werden wir dann noch genug Geld haben?“, „Wie schaffe ich es, beim Pendeln an alles zu denken“, „Warum müssen meine Eltern vor Gericht gehen?“), geben Entscheidungshilfen („Wie kann ich meinen Eltern helfen?“, „Was hilft, wenn ich Mama oder Papa vermisse?“, „Muss ich meiner Mutter erzählen, wie mein Vater so lebt?“, „Was kann ich tun, wenn ich den neuen Freund meiner Mutter nicht mag?“) und versuchen, das Geschehene zu verstehen und zu verarbeiten („Warum tut mein Bauch so oft weh?“, „Ist meine Mutter traurig, wenn ich bei meinem Vater bin?“, „Wer liebt mich mehr, mein Vater oder meine Mutter?“, „Warum suchen sich meine Eltern neue Partner?“).

Ein sehr einfühlsames Sachbuch, das sich direkt an betroffene Kinder wendet, um ihnen die Last zu erleichtern und bei der Problembewältigung praktische Hilfe zu geben. Es geht nicht um die Frage nach der Schuld, um Recht oder Unrecht, sondern darum, wie man die Trennung der Eltern annehmen kann, ohne sich selbst dabei zu verlieren.

"Und was wird jetzt mit mir? Scheidung. Die besten Antworten auf wichtige Kinderfragen“ von Jan von Holleben, Dialika Neufeld und Arne Jørgen Kjosbakken ist im Verlag Gabriel erschienen, für Kinder ab 8 Jahren geeignet und kostet 9,99. ISBN 978-3-522-30472-6

Väterland

Gabrielle sorgt sich um ihre Väter George und Phil, die ein Geschenk für ihren dreizehnten Geburtstag kaufen wollten und längst wieder zu Hause sein sollten. Ihr Zuhause ist schon länger nicht mehr die schicke, große Wohnung im Zentrum von Paris, sondern eine kleine Behausung in einem Getto der Vorstadt. Dorthin hat man homosexuelle Paare samt ihrer Kinder verbannt. Sie sind verpflichtet, eine rosa Raute sichtbar an ihrer Kleidung zu tragen, damit man sie gleich erkennt. Das war einmal anders. Seit fünfzehn Jahren sind George und Phil verheiratet, adoptierten Gabrielle, die aus Somalia stammt, als sie noch ein Baby war und waren gefeierte Künstler. Aber nun passt Schwulsein nicht mehr in die Zeit. Eine traditionelle Familie besteht aus Vater, Mutter und Kindern. Alles andere ist nicht normal, widerspricht Anstand und Moral und muss ausgegrenzt und bestraft werden. Genau deshalb haben die beiden Männer nun auch Probleme, zu Gabrielle zurückzukehren. Sie waren unerlaubt im Zentrum von Paris unterwegs und hatten einen Verkehrsunfall. Phil, der dabei schwer verletzt wurde, und George flüchten durch die Straßen vor Überwachungskameras, Drohnen und der Polizei, was zusätzlich erschwert wird durch all die „ehrbaren“ Bürger und „besorgten“ Passanten, die immer wieder die Position der beiden melden. Immerhin gibt es auch eine Prämie für Informanten, die Rosa Rauten melden. Doch der intellektuelle Phil und der Pragmatiker George geben nicht auf und setzen alles daran, zu ihrer geliebten Tochter zurückzukommen.

Erzählt aus der Sicht von Gabrielle fließen unterschiedliche Zeitstränge zu einer bedrückenden und beklemmenden Geschichte zusammen: der Unfall und die sich anschließende Flucht der Männer, das Warten des Mädchens voller Angst und die Schilderung, wie sich eine offene, freie Gesellschaft immer mehr in einen intoleranten, gewaltbereiten Überwachungsstaat verwandelt. Dass Liebe weder ein Geschlecht, noch eine Hautfarbe hat, gilt nicht mehr. Fassungslos und wütend verfolgt man als Leser die Geschehnisse, weiß, dass das, was Phil, George und Gabrielle widerfährt, nicht sein darf und spürt dennoch, wie groß die Gefahr ist, dass Geschichte sich wiederholt.

"Väterland“ von Christophe Léon ist im Verlag Mixtvision erschienen, für Jugendliche ab 12 Jahren geeignet und kostet 9,90 Euro. ISBN 978-3-95854-095-8

No 9677 oder Wie mein Vater an fünf Kinder von sechs Frauen kam

Die 14-jährige Hollis ist mit sich zurzeit nicht wirklich im Reinen. Ihre Mutter Leigh trauert seit sieben Jahren um ihre Partnerin Pam, die an Krebs gestorben ist. Während Leigh einen Hang zu Depressionen hat, steckt Hollis voller Wut. Als Pam noch lebte, waren sie eine fröhliche Familie, die viel Besuch hatte und eine Menge unternommen hat. Jetzt sind beide einsam, zumal Hollis an ihrer Schule in den Ruf gekommen ist, eine Megaschlampe zu sein und von Mitschülerinnen mit hässlichen SMS bombardiert wird. Wenig begeistert ist sie auch, als überraschend eine Mail von dem 15-jährigen Milo ankommt. Als sie sechs Jahre alt war, hat sie ihn und seine beiden Mütter Suzanne und Frankie einmal getroffen. Pam hatte das arrangiert, damit die Kinder sind kennenlernen. Beide stammen vom gleichen Samenspender ab: Nummer 9677. Und genau den möchte Milo nun ausfindig machen und bittet Hollis um Unterstützung. Milo leidet unter mehreren lebensbedrohlichen Lebensmittelallergien, die durch eine Genmutation hervorgerufen wurden und hofft sich von seinem Vater weitere Erkenntnisse. Im Gegensatz zu Hollis ist Leigh begeistert von der Idee, den Jungen und seine Mütter wiederzusehen und bucht zwei Flugtickets von Minnesota nach New York. Ist Hollis zunächst sehr abweisend, so kann sie sich doch der Hartnäckigkeit von Milo nicht entziehen. Auch fasziniert es sie insgeheim festzustellen, welche Gemeinsamkeiten beide haben – nicht nur optisch. In New York lernt Hollis JJ kennen, Milos besten Freund, Sohn reicher Eltern und bekennender Kiffer. Er bringt sie zum Lachen und unterstützt die Halbgeschwister bei ihrer Samenspende. Auch JJ beschäftigt sich mit Fragen nach seiner Herkunft und genetischer Abstammung, da er ein Adoptivkind ist. Von seiner leiblichen Mutter Suzanne hat Milo Zugangsdaten zur Samenspenderbank bekommen. Dort aktiviert er nun seinen Account und stellt bald fest: „Es gibt fünf von uns.“ Eine Suche nach dem Erzeuger und der eigenen Identität beginnt.

Lustig, berührend, nachdenklich, ein Wechselbad der Gefühle. Eine spannende und zugleich sehr unterhaltende Geschichte, die Fragen rund um das Thema Familie aufwirft, gerade auch im Hinblick auf die Konstellation von zwei gleichberechtigten Müttern, von denen jedoch nur eine die leibliche ist.

"No 9677 oder Wie mein Vater an fünf Kinder von sechs Frauen kam“ von Natasha Friend ist im Verlag Magellan erschienen, für Jugendliche ab 13 Jahren geeignet und kostet 17 Euro. ISBN 978-3-7348-5029-5

Ich wollte nur, dass du noch weißt

Emily Trunko ist mittlerweile 16 Jahre alt und hat ein Notizbuch, das gefüllt ist mit Briefen, die sie nie abgeschickt hat und es auch nie wollte. Sie sind gerichtet an Familienmitglieder, Freunde, Ex-Freunde, Lehrer, Prominente, Organisationen und Leute, mit denen sie inzwischen nicht mehr redet. Das hat sie auf die Idee gebracht, dass es vermutlich auch andere Menschen gibt, die sich auf diese Weise Klarheit über ihre Gefühle verschaffen, ihren inneren Frieden wiederfinden oder sich ihren Frust von der Seele schrieben. Deshalb hat Emily am 22. März 2015 auf Tumblr den Blog Dear My Blank eingerichtet und damit eine Plattform geschaffen für Briefe, die nie verschickt worden sind – mit einem Erfolg, der alle überrascht hat. Bereits in der ersten Woche erreichten sie 300 Briefe, drei Monate später schon über 3000. Namhafte Publikationen wie die New York Times und das Cosmopolitan berichteten über den Teenager und ihren Sensationserfolg.

Eine Auswahl der nie verschickten Briefe ist nun auch als Buch erschienen, das im Englischen wie der Blog heißt und auf deutsch den Titel „Ich wollte nur, dass du noch weißt“ erhalten hat. Es ist die Offenbarung geheimster Gefühle fremder Menschen, anrührende Geschichten, traurige oder auch wütende Abschiedsworte, bewegende Liebesbriefe und Nachdenkliches, gegliedert in die Rubriken „Liebes Ich“, „Liebe Welt“, „Liebe“, „Freunde“, „Familie“, „Herzschmerz“, „Unerwiderte Liebe“, „Verrat“, „Verlust“ und „Danke“.

Ein absolut bemerkenswertes, zu Herzen gehendes Buch voller Briefe, die beim Leser eine Fülle von Gedanken auslösen: Was mag da passiert sein? Wer hat das wohl geschrieben? Wie konnte der Mensch nur so etwas tun? Fragen, auf die es nie eine Antwort geben wird, aber vielleicht Anregungen für das eigene Handeln liefern. Alle Seiten sind bunt illustriert und individuell gestaltet und laden dazu ein, kreuz und quer zu blättern und zu lesen.
Am 18. September 2017 erscheint ein weiteres Projekt von Emily Trunko als Geschenkbuch: „Deine letzte Nachricht. Für immer.“

"Ich wollte nur, dass du noch weißt“, herausgegeben von Emily Trunko, mit Illustrationen von Lisa Congdon und Lettering von typealive ist im Verlag Loewe erschienen, für Jugendliche ab 14 Jahren geeignet und kostet 14,95 Euro. ISBN 978-3-7855-8608-2

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