Verdacht auf Kindesmissbrauch: Was tun?

Für Kinder ist die Familie die Schutzzone, in der sie ungehindert aufwachsen und sich entwickeln können – normalerweise. Befindet sich die Bedrohung aber innerhalb dieser Schutzzone, gibt es für das Opfer praktisch keinen Ausweg. Hier kann nur der aufmerksame Blick von außen helfen, um Kinder aus derartigen Notlagen zu befreien.

Dass Eltern ihre eigenen Kinder missbrauchen, ist für viele Menschen ein unvorstellbarer Gedanke. Äußert sich ein Kind in dieser Weise gegenüber dem sozialen Umfeld der Familie, sieht es sich oft einer Wand des Unglaubens, ja Misstrauens gegenüber. Hinzu kommen meist noch massive Drohungen der Täter, um die kindlichen Opfer von Äußerungen zum Missbrauch abzuhalten. Genauso schuldig machen sich Ehepartner oder andere Familienangehörige, die von dem Missbrauch wissen, ihn vielleicht selbst beobachten und ihn trotzdem stillschweigend dulden, aus welchen Gründen auch immer.

Laut polizeilicher Kriminalstatistik für 2021 gab es in Deutschland 15.507 durch die Polizei ermittelte Fälle des sexuellen Kindesmissbrauchs. Zu 74 Prozent waren davon Mädchen betroffen, zu 26 Prozent Jungen. Die Zahlen für 2022 dürften sich in etwa dem gleichen Bereich bewegen. Ermittler sind sich sicher: Die Dunkelziffer der nicht gemeldeten Fälle liegt um ein Vielfaches höher.

Aus dieser dramatischen Situation erwächst die Verpflichtung des Umfelds, sich in die Klärung der Sachlage aktiv einzubringen.

Was tun bei Verdacht auf Kindesmissbrauch?

Es gibt zahlreiche Indizien, über die Außenstehende auf einen möglichen Missbrauch von Kindern schließen können. Doch das Erkennen alleine ist noch keine aktive Hilfe. Der instinktive Reflex, sich nicht einmischen zu wollen, ist einer der häufigsten Gründe dafür, dass Kindesmissbrauch unerkannt bleibt und die Leiden der Opfer fortdauern. Dabei ist es gar nicht so schwer, durch eigenes Handeln den Teufelskreis zu durchbrechen und das Kind aus einer ausweglosen Lage zu befreien.

Vielfach besteht bei Beobachtern, die Anzeichen auf Missbrauch entdecken, die Befürchtung, sie könnten die Verdächtigen durch falsche Anschuldigungen in Schwierigkeiten bringen. In dieser Phase besteht ja allenfalls ein Verdacht, der alles andere als erhärtet ist. Trotzdem ist es ratsam, erste Schritte einzuleiten, um eventuelles Leid abzuwenden. In Abwandlung eines bekannten Rechtsgrundsatzes gilt hier das Prinzip: Im Zweifel für das Kind.

Nur Erwachsene können Missbrauch beenden

Das betroffene Kind hat keine Möglichkeiten, sich wirksam gegen einen eventuellen Missbrauch zu wehren. Die polizeilichen Beratungsstellen empfehlen, sofort nach dem ersten Verdacht konsequente Schritte einzuleiten. Welche das sind, hängt von der Art und Weise ab, wie der Missbrauchsverdacht entsteht.

Wenn Sie mit dem Kind ins Gespräch kommen können, bei dem sie Missbrauch vermuten, dann sollten bei der Unterhaltung einige grundsätzliche Regeln gelten:

  • Die Befragung zur vermuteten Misshandlung sollte sanft und ohne äußeren Druck erfolgen. Das Kind sollte nur das erzählen müssen, was es zu erzählen bereit ist.
  • Besonders wichtig: den Schilderungen Glauben schenken und Beeinflussung durch eigene Formulierungen vermeiden.
  • Bohrendes Nachfragen ist kontraproduktiv und führt in der Regel dazu, dass das Kind sich wieder verschließt und zu keiner weiteren Kommunikation bereit ist. Ebenso schädlich sind Vorwürfe, beispielsweise die Frage, warum das Kind so lange geschwiegen hat.

Oft ergibt sich jedoch keine Gelegenheit, mit dem Kind direkt zu kommunizieren. Sind verdächtige Anzeichen vorhanden, beispielsweise merkwürdige Verletzungen oder ungewöhnliche Verhaltensweisen, ist dennoch der nächste Schritt angesagt.

Die zehn Signale für Kindesmissbrauch

Aus den Erkenntnissen von Polizei, Psychologen und sozialen Einrichtungen haben sich vor allem zehn Signale herauskristallisiert, die von besonderer Aussagekraft sind.

Signal 1: Körperliche Merkmale

Typische physische Indizien für möglichen Missbrauch sind:

  • Blutungen, Rötungen, Risse
  • Verletzungen an Penis, Hoden, Vagina und After
  • Schmerzen im After- und/oder Genitalbereich
  • Ungewöhnliche Dehnungen an After oder Vagina
  • Hämatome an der Oberschenkelinnenseite oder im Genitalbereich
  • Geschlechtskrankheiten wie Ausfluss oder Pilzinfektionen
  • Schwangerschaft

Sollten sich Symptome dieser Art zeigen, ist äußerste Aufmerksamkeit angebracht. Ein möglicher Missbrauch ist in diesem Fall mehr als eine vage Vermutung.

Signal 2: Rückzug

Das Kind zieht sich in sich selbst zurück und bricht frühere soziale Kontakte ohne Grund ab. Soziale Verhaltensweisen ändern sich von Gruppendynamik hin zu eigenbrötlerischem Einsiedlertum.

Signal 3: Opportunismus

Das Kind versucht auf übertriebene Weise, möglichst alles richtig zu machen und nicht aufzufallen. In diesem Fall empfindet das Kind den Missbrauch als Strafe für eigene Verfehlungen.

Signal 4: Rebellion

Je nach Temperament kann ein kindliches Missbrauchsopfer auch das gegenläufige Verhaltensmuster aufweisen: Das Kind hält sich nicht mehr an Regeln und überschreitet bisher geltende Grenzen.

Signal 5: Selbstverletzung

Das Kind fügt sich Verletzungen oder Schmerzen zu. Auch hier glaubt das Opfer, eine Art von Bestrafung verdient zu haben.

Signal 6: Ungewöhnliches Essverhalten

Das Kind isst entweder mehr oder weniger als gewöhnlich. Die Veränderung im Essverhalten deutet auf eine tiefgreifende seelische Dysbalance hin.

Signal 7: Verhaltensänderung

Das Kind legt unvermittelt ein Verhalten an den Tag, das nicht seiner Altersgruppe entspricht. Dabei sind Abweichungen in beide Richtungen möglich: Das Kind verhält sich entweder jünger oder älter als es tatsächlich ist.

Signal 8: Krankheit

Das Kind zeigt eine überdurchschnittliche Tendenz hin zu Erkrankungen, meist Bauch- oder Kopfschmerzen, Hautkrankheiten oder Schlafstörungen.

Signal 9: Angst und Aggression

Das Kind zeigt bisher ungekannte Angstzustände oder aggressive Verhaltensmuster. Damit kompensiert das Kind seinen unterdrückten emotionalen Ausnahmezustand.

Signal 10: Drogenmissbrauch

Das Kind beginnt damit, alkoholische Getränke zu sich zu nehmen oder Drogen zu konsumieren. Damit versucht das Opfer, den inneren Schmerz zu lindern, mit dem es sich niemandem anvertrauen kann.

Erster Anlaufpunkt: die Beratungsstelle

Die erste Anlaufstelle ist die Beratungsstelle für Kindesmissbrauch. Die entsprechende Einrichtung in der Nähe lässt sich im Internet recherchieren. Alternativ empfiehlt sich ein Anruf beim Zentralen Hilfetelefon Sexueller Missbrauch unter 0800 22 55 530.

Die Beratungsstelle hilft Beobachtern von möglichem sexuellem Missbrauch dabei, die geeigneten nächsten Schritte einzuleiten. Dazu gehört auch die Frage, ob eine polizeiliche Anzeige anzuraten ist, oder ob zuvor noch andere Maßnahmen sinnvoller wären.

Kitas und Schulen können präventiv aktiv werden

Präventionsangebote in Kindergärten und Schulen können dabei helfen, dass Kinder den Mut fassen, die ihnen aufgezwungene Mauer des Schweigens zu durchbrechen und sich externen Helfern anzuvertrauen. Dafür ist es nötig, dass sich auch Betreuer*innen und Lehrer*innen diesem Tabuthema öffnen und Wege der offenen Kommunikation mit den potentiellen Opfern entwickeln.

Kindesmissbrauch verhindern

Der Weg der meisten Täter hin zum aktiven Missbrauch führt in vielen Fällen über Kinderpornographie und die damit verbundene sexuelle Gewalt. Ein wirkungsvolles Instrument gegen die Verbreitung kinderpornographischer Inhalte über die sozialen Netzwerke könnte helfen. KI-basierte Contentfilter, die Bildmaterial auf pornographischen Gehalt analysieren und Verdachtsfälle menschlichen Moderatoren zur endgültigen Bewertung vorlegen, wären angesichts der ungeheuren Mengen an kursierendem Bildmaterial ein wirkungsvolles Werkzeug zur Eindämmung der grassierenden Kinderpornographie.

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