Sechs "Knigge-Altertümer" gegen neue Tischsitten
Welche Tischsitten sind noch sinnvoll und welche veraltet und auch unpraktisch? Lesen Sie, warum sie Salatblätter getrost schneiden dürfen und warum Sie auch mit Cola anstoßen können.
"Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer...".
Diese Worte fand nicht der in die Jahre gekommene Nachbar, der sich immer über den Lärm der Kinder beschwert, sondern kein Geringerer als Sokrates. Fast 2500 Jahre ist es her, dass der griechische Philosoph sich über das schlechte Benehmen der jungen Menschen ausließ. Inhaltlich hätte das Zitat jedoch auch wunderbar in die heutige Zeit gepasst, gibt es doch genügend Menschen, die seit Jahren ebenso empfinden und glauben, dass bei vielen Kindern in der Erziehung einiges schief gegangen sein muss. Doch es ist immer so eine Sache mit der Erziehung zu "guten Manieren". Viele Eltern fragen sich: Was ist das eigentlich? Und wie bringe ich sie meinem Kind bei?
"Gut erzogen" bedeutet heutzutage sicherlich nicht "gut dressiert" - wie das früher vielleicht einmal war. Gerade der Umstand, dass bestimmte Benimmregeln in den letzten Jahrzehnten den Kindern rigoros eingehämmert wurden, musste zwangsläufig zur Rebellion führen. Die genötigten Kinder von damals ließen bei ihren eigenen Kindern bewusst diese Dressur weg. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, wenn die Auswirkungen fehlender Erziehung uns überall deutlich vor Augen geführt werden: Kinder, die ein Restaurant mit einem Bolzplatz verwechseln, sich rücksichtslos ihren Weg in Bus oder Straßenbahn freiboxen, sich noch als Schulkinder mit Schreikämpfen an der Kasse die Erfüllung ihrer Wünsche erfolgreich ertrotzen - oder einfach nur Kinder, die die Worte "Bitte" und "Danke" nicht zu kennen scheinen.
Was man bei den Allerkleinsten noch milde durchgehen lässt, schätzt man bei großen Kindern und Jugendlichen ganz und gar nicht. Gute Manieren zeigen sich dagegen z.B. bei der Kommunikation (vernünftiges Begrüßen und Verabschieden, Bitten, Danken, Aufstehen und die Hand geben) und bei ordentlichen Tischmanieren (Händewaschen vor dem Essen, kein Schmatzen, Schlürfen o.ä., gemeinsames Beginnen und Beenden). Zudem zählen Höflichkeit, Rücksichtsnahme, Pünktlichkeit und Ordnungs(liebe) dazu. Natürlich gibt es keine genauen Vorgaben, wann ein Kind in welchem Alter was genau "können muss". Jedes Kind entwickelt sich anders. Doch schon im jüngsten Kindesalter wird die Grundlage für späteres Verhalten gelegt.
Wie schaffen Eltern es denn nun im Alltag, die hehren Erziehungsziele zu erreichen? Stehen die meisten doch an der Grenze zur Überbelastung und versuchen sich frei nach dem Motto "Überleben ist alles" irgendwie durchzumogeln. Zunächst einmal: Nobody is perfect! Und Perfektionismus - genauso wie zu viel Improvisation - ist gar nicht so förderlich für eine Eltern-Kind-Beziehung. Um die Sache zu erleichtern, sollten sich Eltern zunächst grundsätzlich dem Thema Erziehung widmen, also ihre Erziehungsziele und -möglichkeiten überprüfen. Elf Grundsätze können dabei helfen:
1. Erziehungsziele: Was wollen Sie erreichen?
Gemeinsam mit dem Partner bzw. der Partnerin sollte zunächst geklärt werden, wie man sich den gemeinsamen Alltag wünscht. Auch welche Ideale man im Umgang miteinander sieht. Wie man angesprochen werden möchte und vor allem in welchem Ton usw..
2. Einigkeit macht stark
Ganz klar, Vater und Mutter müssen an einem Strang ziehen. Es geht nicht, dass der eine dem Kind etwas verbietet, und der andere ihm im nächsten Moment dies gewährt. Wer die Autorität und Anweisungen seines Partners in Frage stellt, sägt an dem Ast, auf dem er selbst auch sitzt!
3. Rahmen, Riten, Regeln: Entlastung im Alltag
Wenn der Alltag einen festen Rahmen hat, erleichtert dies das Zusammenleben in der Familie und schafft Gemeinsamkeiten. Doch Vorsicht: Begründete Ausnahmen sollten immer möglich sein, und ältere Kinder benötigen flexiblere Regelungen.
4. Vorbild sein: Selbsterziehung hört nie auf
Ganz klar, man kann von seinem Kind nicht erwarten, dass es höflich "Bitte" und "Danke" sagt, wenn man selbst dies nicht macht. Vor allem Unarten ahmen unsere Kinder sehr gerne nach.
5. Konsequenz ist der Schüssel zum Erfolg
Wer kennt das nicht: Man hat seinem Kind ein Verbot ausgesprochen und leidet letztendlich selbst am meisten darunter. Doch wer je nach Tagesform schnoddrige Antworten, katastrophale Tischmanieren oder den stillen Boykott der gemeinsamen Mahlzeiten mal abmahnen, ein anderes Mal aber einfach hinnehmen wird, muss sich nicht wundern, dass das Benehmen des Kindes eine reine Glückssache ist.
6. Rechte und Pflichten für Eltern und Kinder
Sicher Kinder haben Rechte, aber Eltern auch. Dazu zählt z.B. das Fällen wichtiger Entscheidungen. Das entlastet auch die Kinder, denn wer entscheidet, der trägt auch die Verantwortung für die Konsequenzen. Kinder sind häufig damit überfordert. Und bei den Pflichten ist es dasselbe: Beide haben im Familienalltag ihre Aufgaben, wobei das gemeinsame Erfüllen (z.B. der Abwasch) durchaus zu einem angenehmen Ritual werden kann. Denn dabei kann man wunderbar miteinander Reden oder Lachen.
7. Gemeinsamkeit: Ohne Miteinander läuft nichts
Zeit miteinander zu verbringen, ist ein kostbares Gut. Inzwischen müssen oftmals Vater und Mutter arbeiten und sich die Zeit mit ihren Kindern dann gut einteilen. Wichtig ist, dass es jedoch immer wieder solche Momente, z.B. gemeinsame Mahlzeiten, gibt. Denn wo sollen sonst Kinder Tischmanieren lernen? Wie soll Gesprächskultur entstehen, wenn es keine Gespräche gibt?
8. Freunde erziehen mit
Die Freunde nehmen starken Einfluss auf ein Kind - vor allem im Alter zwischen zehn und zwanzig. Das ist zwar normal, hat aber gravierende Auswirkungen aufs Familienleben. Da darf z.B. die 14jährige Freundin Ihrer Tochter bis spät in die Nacht unterwegs sein, Taschengeld bekommen alle anderen eh mehr und Mahlzeiten werden vom Kumpel Ihres Sohnes generell vor dem Kühlschrank stehend eingenommen. Klar, dass es dann erste Zeichen der Rebellion gegen familiäre Regeln gibt. Hilfreich ist es da, wenn man mit Familien befreundet ist, die ähnliche Erziehungsziele verfolgen.
9. Gutes Benehmen ist lernbar - für jedes Kind
Jedes Kind ist anders und somit erlernt das eine vielleicht leichter gutes Benehmen als das andere. Ein kräftiges Kind wird sich zunächst fragen, warum es denn höflich sein soll, wenn es sein Ziel auch mit körperlichem Einsatz erreichen kann. Doch gerade die temperamentvollen Kinder können von Benimmregeln profitieren.
10. Was Hänschen nicht lernt...
Sicher gibt es entwicklungsbedingte Grenzen für gutes Benehmen: Aber auch Kleinkindern kann man z.B. schon das appetitliche Essen und Trinken sowie das höfliche Begrüßen und Verabschieden beibringen.
11. Geduld & Ausdauer: Nur nicht aufgeben!
Auch wenn es manchmal schwer fällt, und man bestimmt schon tausendmal zu seinem Kind "...schmatz bitte nicht, Hände auf den Tisch, schau mich an, deck bitte den Tisch mit ab, sei pünktlich, räum deine schmutzige Wäsche weg..." gesagt hat, nur steter Tropfen höhlt den Stein! Und selbst wenn im eigenen Heim die Resultate eher dürftig sind, so kann es durchaus vorkommen, das sich das eigene Kind oft überraschenderweise in fremden Häusern mit außergewöhnlich guten Manieren präsentiert.